Sightjogging München
Der Morgen in München beginnt mit einem zarten Licht, das sich langsam über die Dächer der Altstadt legt, und während die Stadt noch halb schläft, machen sich einige wenige Menschen bereit für eine ganz besondere Art,
die bayerische Metropole zu erleben – beim Sightjogging. Es ist kein Wettlauf, kein Training für Bestzeiten, sondern eine fließende Bewegung durch Geschichte, Kultur und Gegenwart.
Die Straßen werden zur Strecke, die Gebäude zu Erzählungen, und jeder Schritt führt tiefer hinein in das lebendige Gedächtnis einer Stadt, die so viele Gesichter hat.
Ein junger Mann in Laufkleidung wartet am Marienplatz. Neben ihm steht eine Frau mittleren Alters mit leuchtenden Laufschuhen und neugierigen Augen.
Wenige Minuten später schließt sich ihnen ein kleines Grüppchen an, geführt von einer Jogging-Guide, die nicht nur sportlich fit ist, sondern auch voller Geschichten steckt.
Der Glockenspiel-Turm des Rathauses ragt über ihnen auf, und während sie im lockeren Tempo loslaufen, beginnt auch der Fluss der Worte.
Durch die Fußgängerzone joggend, vorbei an Cafés, die gerade ihre Stühle auf den Gehweg stellen, erzählt die Guide von König Ludwig,
von den Fassaden der Altstadt und den unterirdischen Geheimnissen, die sich unter dem Pflaster verbergen. Man hört das gleichmäßige Atmen der Gruppe, das rhythmische Auftreten der Sohlen auf dem Steinboden,
und dazwischen mischen sich Anekdoten über Künstler, Kriege und kleine Skandale, die sich hier im Herzen der Stadt abgespielt haben.
Der Weg führt weiter in den Englischen Garten, wo die Joggerinnen und Jogger durch morgendlichen Dunst an der Isar entlanggleiten. Ein kurzer Blick zur Eisbachwelle,
wo bereits die ersten Surfer auf ihren Brettern balancieren, lässt sie staunen – es ist dieser Kontrast aus Natur und Urbanität, aus Bewegung und Beobachtung, der Sightjogging so besonders macht.
Man hält nicht an, doch man nimmt wahr. Der Körper läuft, der Geist wandert.
Entlang des Hofgartens erzählt die Guide von den Ursprüngen dieser Grünanlage, von höfischer Eleganz und Revolution, während die Gruppe in einer Art tänzerischem Gleichschritt unter Laubengängen entlangjoggt.
Auch wenn der Puls steigt, fühlt es sich nicht an wie Anstrengung, sondern wie ein Gespräch mit der Stadt – eines, das kein Buch und kein Bildschirm ersetzen könnte.
Selbst Münchnerinnen und Münchner entdecken beim Sightjogging ihre Heimat neu, sehen Ecken mit anderen Augen, hören Geschichten, die sie nie gekannt haben, obwohl sie tagtäglich daran vorbeilaufen.
Die Strecke wechselt vom Asphalt in den Kies, dann wieder auf Pflaster. Vor der Residenz verweilt man für einen Moment im Laufschritt, nicht stillstehend, sondern wie im Zeitlupenmodus,
während die Guide von Maskenbällen, Intrigen und Musik erzählt. Die Geschichten sind keine Datenaufzählung, sondern kleine Theaterstücke, die durch die Bewegung noch lebendiger wirken.
Am Odeonsplatz, der so viel gesehen hat – von royaler Pracht bis zu düsteren Momenten der deutschen Geschichte – spürt man, wie Geschichte und Gegenwart hier dicht beieinander liegen.
Und während man sich dem Ausgangspunkt nähert, spürt man die Stadt nicht nur unter den Füßen, sondern auch im Herzschlag, der mit jedem Kilometer im Einklang mit der Stadt zu schlagen scheint.
Als die Gruppe schließlich wieder am Marienplatz eintrifft, hat sich etwas verändert. Es ist nicht nur der Kreislauf, der in Schwung gekommen ist, es ist das Gefühl, München auf eine Weise kennengelernt zu haben,
die in keinem Reiseführer steht. Das Sightjogging war keine Stadtführung im klassischen Sinne, und auch kein gewöhnlicher Morgenlauf. Es war beides in einem – eine Erfahrung, die bleibt, genau wie der Gedanke,
dass man sich einer Stadt manchmal nicht nur annähern, sondern sie wirklich erlaufen kann.